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Panikattacken sind Ausdruck unterdrückter Aggressivität

Veröffentlicht am 10.05.2018

Panikattacken sind in unserer Gesellschaft längst kein Einzelphänomen mehr. Sie sind zu einem Massenphänomen geworden, das uns herausfordert, aktiv zu werden, das uns zwingt, hinzuschauen und Konsequenzen zu ziehen. Nicht nur das Individuum braucht eine Lösung für sich. Unsere Gesellschaft in Gänze muss sich neue und ganz andere Fragen stellen, um schleunigst Antworten zu finden.

Eine sehr komprimierte Definition lautet: Panikattacken sind Ausdruck unterdrückter Aggressivität.

Der Zeitraum ist dabei kein unerheblicher Faktor, denn Panikattacken entstehen in der Regel, wenn natürliche Aggressivität über einen längeren Zeitraum unterdrückt wird. Wenn Menschen sich dauerhaft nicht genügend Raum für die eigenen Bedürfnisse schaffen, sie unterdrücken und schlussendlich mit diesem inneren Druck nicht mehr zurechtkommen, dann schlägt das Unterbewusstsein zurück. Je mehr wir uns darum bemühen, die scheinbare Harmonie und Stabilität im Außen zu wahren, umso mehr verlieren wir die innere Harmonie mit uns selber. Eine recht lange Zeit geht das gut. Wir können den Konflikten aus dem Weg gehen, Menschen, Situationen und Themen meiden. In vielen Fällen - nämlich, wenn Menschen ein sehr hohes Harmoniebedürfnis haben - funktioniert das sogar jahrzehntelang. Irgendwann bekommen wir allerdings einen dicken Strafzettel. Der innere Druck löst sich nicht einfach auf. Er staut sich auf und läuft dann irgendwann über und letztendlich auch wie eine Welle über den Betroffenen.

Völlig unerwartet, als würde Jemand aus einem Hinterhalt nach uns greifen, uns überfallen, werden wir mit der ersten Panikattacke konfrontiert. Sie kündigt sich nicht an, sie wirft den Betroffenen in diesem Moment regelrecht um, reißt ihn aus seinem gerade noch sicheren Befinden heraus. Sie hebelt ihn aus, macht ihn handlungsunfähig. Betroffene beschreiben, sich den Panikattacken völlig ausgeliefert zu fühlen. Da der Betroffene sie nicht vorhersehen kann, kann er sie dann auch meist nicht kontrollieren. Er verliert seine natürliche Sicherheit, sich eigenbestimmt durch sein Leben zu bewegen. Nicht der Mensch, sondern die Panikattacke übernimmt die Führung, was dazu führt, dass sich der Betroffene zunehmend weniger zutraut, bestimmte Themen, Menschen oder Situationen meidet und so in einen Zustand großer seelischer Not und Isolation gerät. Der Kontrollverlust verstärkt die Angst und der Teufelskreis steht.

Die Panikattacke greift nach dem Betroffenen wie aus einem Hinterhalt.Die Panikattacke greift nach dem Betroffenen wie aus einem Hinterhalt.

 

 

Wenn so viele Menschen in einer Gesellschaft nachhaltig in einen solchen Zustand geraten, sollte jeder Einzelne von uns sich fragen, was läuft da falsch? Wir dürfen nicht mehr wegschauen, wenn ein erheblicher Anteil unserer Mitmenschen vor Angst innerlich regelrecht zu "sterben", zu erstarren bzw. lebensuntüchtig zu werden scheint.

Quellen besagen, dass zirka 12 Mio. Menschen unter Angststörungen - also dem Vorläufer von echten Panikattacken - leiden. Eine weitere Quelle spricht von mehr als 15% der Bevölkerung. In Österreich sollen es sogar 20% der Bevölkerung sein. Unterschiedliche Quellen, unterschiedliche Zahlen, aber eine Gemeinsamkeit - es sind zu viele und Panikattacken gehören mittlerweile fest in unser Gesellschaftsbild. Sie sind Ausdruck einer generellen Gemütslage. Sie sind etabliert. Sie isolieren die Betroffenen sozial und machen sie nicht selten langfristig auch medikamentenabhängig.

Abhängig nicht im Sinne einer Sucht, sondern abhängig im Sinne, dass Stabilität nicht mehr aus eigener mentaler Kraft oder mit Hilfe therapeutischer Unterstützung, sondern nur noch medikamentös wiederhergestellt werden kann. Das ist äußerst besorgniserregend.

Es gab eine Zeit, in der Panikattacken genauso belächelt wurden wie Burn out. Heute lacht keiner mehr darüber. Das Lachen ist uns vergangen. In einem vergleichsweise minimalen Zeitraum, nämlich von 2012 bis 2018, ist die Zeit der stressbedingten Fehltage am Arbeitsplatz von 20 auf 30 Mio. pro Jahr gestiegen. Angststörungen und Panikattacken nehmen hier den Löwenanteil ein.

Aber wie fühlt sich eine Panikattacke an? Es gibt zahlreiche Symptome. Unter dem Strich fühlt sich der Betroffene tatsächlich so als würde er sekündlich bewusstlos werden oder sterben. Es ist ein fataler Kreislauf, denn die Symptome, die sich wie ein bevorstehender Herzinfarkt anfühlen, lösen echte Todesangst aus. Es ist kein abstraktes Fürchten von Tod. Es ist konkret und real, denn die Symptome entsprechen exakt denen, die ein Mensch in den letzten Sekunden seines Todeskampfes hat - Herzrasen, Atemnot, Übelkeit, Schweiß, Bluthochdruck oder extremer Blutdruckabfall, Herzschmerzen - das ganze Programm. Es heißt, es könne einem bei einer Panikattacke eigentlich nichts passieren...eigentlich.

Eine gute Nachricht gibt es trotzdem. Panikattacken müssen nicht bleiben. Sehr oft treten sie im Zusammenhang mit einer besonders belasteten Lebensphase oder -situation auf, sie müssen also nicht von Dauer sein, wenn man richtig damit umgeht und darauf reagiert.

Zuallererst ist es wichtig, sie ernst zu nehmen, sie nicht zu ignorieren. Oft reagiert das Umfeld überfordert, ignorant und verharmlost oder belächelt die Situation und den Betroffenen. Klar, wer diesen Zustand selber noch nicht erlebt hat, kann ihn auch nicht nachvollziehen oder nachempfinden.

Angst ist eine unserer wichtigsten Basisemotionen im Leben. Sie hat einen konstruktiven Auftrag. Sie will uns etwas sagen, uns lenken und leiten. Wer richtig hinhört und sie zu interpretieren weiß, wird die Panikattacke in den Griff und somit das eigene Leben wieder unter Kontrolle bekommen.

Gesellschaftlich ist es ein Zeichen totaler Überforderung. Die Menschen in unserem Land sind schon lange überfordert von dem Leben, das sie sich selber über Jahrzehnte erschaffen haben. Hinterher ist man immer schlauer. Vor 50 bis 70 Jahren wussten wir nicht, wohin wir uns mit unserer rasanten Entwicklung steuern. Heute sammeln wir die Scherben auf. Eine Weisheit bewahrheitet sich: "Das Leben verstehen wir nur in der Retrospektive."

Mir fällt in letzter Zeit immer wieder ein, was mir ein junger Kollege vor 25 Jahren ein Mal sagte. "Es gibt kein höheres Gut als eine unversehrte Psyche."

Wie Recht er hat, verstehe ich erst heute, wenn ich um mich blicke und die Menge an "Versehrten" erblicke. Als wären wir in einem Krieg mit uns selber und dabei führen wir ihn nicht für uns, sondern gegen uns. Eine Menschheit voller "psychischer Kriegsversehrter", die über einen zu langen Zeitraum ihre Aggressivität unterdrückt hat und so zum eigenen Opfer wurde. Es ist ein paradoxes Ergebnis in einer paradoxen Realität. Deutschland lebt in der längsten Friedenszeit aller Zeiten. Nie hatten wir eine größere Sicherheit, körperlich unversehrt durch unser Leben zu gehen wie heute. Und gleichzeitig verursachen wir in einem alltäglichen Krieg ohne sichtbare Waffen Millionen von psychischen Opfern.

Wer ist hierfür verantwortlich? Wohin können wir uns wenden? Wen könnten wir anklagen oder zum Schuldigen machen, wenn nicht uns selbst, die wir diese Welt geschaffen haben und weiterhin akzeptieren in ihr zu leben. Es ist Zeit zum Umdenken und neuen Handeln, denn es gibt nichts Mächtigeres als einen Gedanken, dessen Zeit gekommen ist.