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Frustrationstoleranz - ein schwindendes Gut

Veröffentlicht am 29.09.2017

Frustrationstoleranz ist ein Begriff, über den die meisten Menschen erst Mal länger nachdenken müssen, um sich etwas Konkretes darunter vorstellen zu können. Meist wissen wir, was er bedeutet, wenn er NICHT vorhanden ist. Dann nämlich werden Menschen leicht kränkbar, nachtragend, jammern, zicken permanent rum und kosten uns viel zu viel Energie. Im schlimmsten Fall neigen sie zu Gewalt.

Wir begegnen dem großen Defizit an Frustrationstoleranz täglich und in allen Lebenslagen. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Wer Auto fährt, weiß wovon ich spreche. Erst kürzlich fuhr ich auf dem Weg zur Arbeit morgens kurz vor 7 Uhr in München auf den mittleren Ring auf. Der Verkehr war noch fließend, aber schon sehr dicht. Man konnte weder schneller noch langsamer fahren, weder nach rechts oder links die Spur wechseln, denn alle Fahrzeuge bewegten sich wie ein gleichmäßiger Strom. In meinem Rückspiegel tauchte eine Dame um die 55 auf, kurze braune Haare, Brille, eher der konservative Typ. Sie fuhr mit ihrem Audi so nah auf, dass ich ihre Nasenhärchen zu sehen glaubte.

Solange ich auf dem mittleren Ring war, fuhr sie hinter mir, fluchte und gestikulierte. Ich bin kein Profi im Lippenlesen, aber mir entging nicht, was sie da in ihrem Fahrzeug alles von sich gab. Die Faust, der Mittelfinger, Aufblenden, Blinken, Hupen...volles Programm...sie war außer sich.

 

Neben mir fuhr ein Betonmischer. Es gab also keine Chance, ihr den Weg frei zu machen, was ich gerne getan hätte, damit sie genau eine Autolänge nach vorne kam. Ich fuhr also weiter, blieb ruhig und behielt sie im Rückspiegel im Blick. In solchen Momenten fühle ich mich wie ein ethnologischer Beobachter, der einem Experiment beiwohnen darf. Ich frage mich, in welcher vor allem emotionalen Welt dieser Mensch wohl gerade ist. Es ist mir unverständlich, ja es ist mir völlig fremd wie ein Mensch sich in seine eigenen Emotionen so frei von jeglicher Kontrolle hineinsteigern und einen anderen völlig Unbeteiligten in dieser Form belästigen, bedrängen und nötigen kann.

Als ich endlich den Blinker setzen konnte, um abzubiegen, entlud sich bei ihr die volle Wut. Aus dem herunter gelassenen Fenster erschien erst Faust, dann Mittelfinger, sie hupte zeitgleich, blickte mir nach und ich fragte mich nur, wenn die eine Hand aus dem Fenster ragt, die zweite in der Mitte des Steuers die Hupe betätigt und der Blick seitlich bei mir ist, wer lenkt dann gerade dieses Fahrzeug und achtet auf den dichten Verkehr? Niemand.

Ich hatte an diesem Tag glücklicherweise eine gute Tagesform, freute mich auf einen angenehmen Arbeitstag. Meine Frustrationstoleranz war stabil. Trotzdem habe ich die Minuten als Übergriff erlebt, mein Bioorganismus ist hochgefahren, ich habe mich deutlich unwohl gefühlt. Die Geburtsstunde eines potenziellen Konflikts. Was passiert, wenn das Gegenüber auch keine Frustrationstoleranz zu bieten hat? Eskalation für nichts und wieder nichts.